Donnerstag, 26. Februar 2015

Mission 200x - Pt. 3

2006.1 – Communic – Fooled By The Serpent

Communic haben bei mir vor fast zehn Jahren – wie bei einem großen Teil der Szene – mit Ihrem Debut richtig eingeschlagen. Das zweite Album konnte dessen Niveau, abgesehen vom natürlich nicht mehr vorhandenen Überraschungseffekt, halten. „Fooled By The Serpent“ ist mein Höhepunkt des Albums. Technisches Thrashriffing, ausdrucksstarker Gesang (der weniger an Nevermore erinnert als noch auf dem Debut), und ein emotionaler Refrain sowie tiefgehenden Gitarrensoli. Ein Musterbeispiel für zeitgemäßen, harten Progmetal.

2006.2 – Falconer – Northwind

Ich kenne keine Band, die es wie Falconer schafft, schunkelige, folkige Melodien metallisch darzubieten, ohne den ausgelatschten Pagan-Kitsch-Pfad zu bestreiten. Dazu ist wahrscheinlich alleine schon der ausgebildete Gesang des Musicaldarstellers Blad zu erhaben. Northwind ist für mich absolute Gute-Laune-Musik, die dennoch nie zu fröhlich oder gar lustig wird.

2006.3 – Pharaoh – By The Night Sky

Was soll ich über dieses makellose Heiligtum noch Worte verlieren… Dieser Song ist nicht weniger als der perfekte US-Metal-Song. Klar in der NWOBHM verwurzelt (die ersten zwei Minuten hätten Maiden auch zu Ihrer Hochphase nicht besser komponieren können), roh und energisch, dabei aber musikalisch vielschichtig und verspielt, gekrönt von einem herausragenden Sänger und einem der besten Refrains der Menschheitsgeschichte. Ich schwärme, ich weiß.

2007.1 – Candlemass – Of Stars And Smoke

Ich war beinharter Fan der Marcolin-Ära (die Klasse von Chapter VI beispielsweise hat sich mir erst spät erschlossen), und war entsprechend frustriert, dass er sich nach dem wirklich guten Comeback wieder mit der Band überworfen hat. Dass sein Nachfolger Lowe ein richtig guter Sänger ist, war mir bekannt, dass er die Lücke aber nahtlos schließt und seinen Vorgänger fast vergessen machen kann, das habe ich mir nicht erträumen können. „King Of The Grey Island“ – das stärkste der drei hochklassigen Lowe-Alben – beinhaltet mit „Of Stars And Smoke“ nicht weniger als den einzigen Candlemass-Song, der den Überhits „Solitude“ und „Samarithan“ ebenbürtig ist.

2007.2 – Darkthrone – F.O.A.D.

Ich bin kein Black Metal Fan, aber alles, was Darkthrone seit ihrem stilistischen Bruch abgeliefert haben, rennt bei mir offene Türen ein. Dieser räudige Rotz, das pure Punkfeeling und die Underground-Einflüsse, die sie ihrem garstigen Black Metal beimengen, machen sie einzigartig. Dass man das als Schwarzalbenheimer nicht mehr abkann, ist verständlich. Dass Schöngeister daran zu Grunde gehen ebenso. Der Titeltrack „Fuck Of And Die“ ist nur exemplarisch für verdammt viele tolle Brecher auf der Scheibe.

2007.3 – Rush – Far Cry

Dass Rush kein schlechtes Album aufnehmen können, ist Gesetz. Dass sie es aber 2007 noch einmal geschafft haben, qualitativ mit ihren ganz großen Alben mitzuhalten, hat mich überrascht. Ich halte die „Snakes & Arrows“ für das beste Album seit der „Moving Pictures“. Das Album ist reif, erwachsen, von Lebenserfahrung geprägt, nachdenklich und tiefgründig. „Far Cry“, das heißt komplexes Rhythmusspiel, charakteristische Powerchords und typische Gesangslinien. Toll.

2008.1 – Ayreon – Beneath The Waves

Lucassen kann – seinen Aussagen in einigen Interviews zu Folge – sein 2007er-Album nicht mehr sonderlich gut leiden. Zu anstrengend empfand er wohl den Aufnahmeprozess, die Songs seien zu sehr überfrachtet mit Sängern. Mir geht es genau anders, ich liebe die zahlreichen stimmlichen Facetten auf dieser Doppel-CD. Die Songs sind wieder ausladender als auf dem kompakteren Vorgänger, die Stimmung erinnert mich an die Migrator-Alben, jedoch mit den warmen Melodiebögen der Electric Castle. Die ruhigeren Songs – wie eben „Beneath The Waves“ - lassen den tollen Sythies und grandiosen Gesängen ausreichend Platz. Es ist mir ein Rätsel, was Lucassen seinen Gästen in den Tee rührt, aber auffallend ist, dass jeder Sänger, der Teil eines Ayreon-Albums sein durfte, bei ihm immer noch ein bisschen besser klingt als in seinem gewohnten Umfeld. Absolut faszinierend.

2008.2 – The Devil’s Blood – Voodoo Dust

Der Duden definiert Hype als „besonders spektakuläre, mitreißende Werbung, die eine euphorische Begeisterung für ein Produkt bewirkt“. Das war bei „The Devil’s Blood“ zu EP- und Debutzeiten sicher der Fall. Ich gehöre aber zu denen, die der Meinung sind, dass das abgelieferte Songmaterial diese Euphorie absolut gerechtfertigt hat. Die zehnminütige Nummer „Voodoo Dust“ ist im Kern – losgelöst von spinnerten Ideologien, die mir sonst wo vorbeigehen – nichts anderes, als die Essenz des Hardrocks der späten Sechziger und frühen Siebziger. Alleine schon die zwei ausufernden Gitarrensoli in diesem Song setzen Maßstäbe, ein Blackmore hätte diese nicht besser hinbekommen.

2008.3 – Warrel Dane – Brother

Dane hat es auf seinem mit Hilfe von Produzent und Songwriter Peter Wichers entstandenen Soloalbum hörbar genossen, anstelle innerhalb von groß angelegten, bis ins letzte gefüllten Nevermore-Songs agieren zu müssen, simple, reduzierte Songstrukturen vorgesetzt zu bekommen. Das minimalistisch arrangierte „Brother“ nutzt er, um den vielleicht größten emotionalen Tiefgang seiner ganzen Laufbahn in seine Stimme zu legen. Großartig.

2009.1 – Heaven & Hell – Bible Black

Leider das letzte Studio-Album von Ronny James Dio. Es ist faszinierend, dass seine Stimme im Alter nicht an Kraft verloren, sondern gar an Farbe gewonnen hat. Iommi hat auf dem leider einzigen Spätwerk der „Heaven & Hell“-Besetzung gewohnt starke Riffs zu epischen Songs geformt, und eben durch den bereits gelobten Gesang empfinde ich das Album stärker als das viel gelobte Black Sabbath-Album des Jahres 2013.

2009.2 – Jack Starr’s Burning Starr – Once And Future King

Sängerfixiert, wie ich nun einmal oft bin, ist nicht Jack Starr mein Held auf diesem Album, sondern seine Entdeckung an der Mikrofonposition: Todd Michael Hall. „Once And Future King“ lebt von seinen wundervollen, technisch hervorragend gesungenen Choreinlagen, die aus dem guten, aber vielleicht ein wenig biederen US-Metal etwas Besonderes machen. Mancher empfindet vielleicht die Produktion als zu sauber und glatt, aber das mindert meine Euphorie für das Dargebotene in keiner Weise.

2009.3 – RAM – Suomussalmi (The Few Of Iron)

Wieder ein Song, den ich in der Tat als makellos bezeichnen muss. Epischer Aufbau, atmosphärische Instrumentalparts, ein Jahrhundertrefrain, dabei stellenweise schön priestlastig. Ich weiß nicht, wie viele Male ich diese vertonte Schlacht des Winterkrieges zwischen Finnland und den Sowjets schon gehört habe, aber der Song nutzt sich nicht ab, jedes Mal verspürt meine Faust den Drang, sich zu ballen und in die Luft zu fahren.

Mission 200x - Pt. 2


2003.1 - Cage – Blood Of The Innocent

Die Musikalische Wertigkeit der Cage-Alben nimmt einen Achterbahn-ähnlichen Verlauf. Das Debut lies mich aufhorchen, der Zweitling war toll, das dritte Album eine Granate, das vierte konnte das Niveau knapp halten, anschließend ging es in voller Fahrt Talwärts. Was für mich die dritte Scheibe am wertvollsten macht, ist das Zusammenkommen von direktem, priestlastigem Songwriting mit dem variabelsten Gesang, den ich bislang von Sean Peck gehört habe. Er liefert nicht nur gnadenlos geile Halford-Screams ab, sondern lotet auch die Grenzen seiner Stimme ins extreme aus – so manche Shouts wären fast Black Metal-tauglich. Blood Of The Innocent ist ein Paradebeispiel eines klassischen Metalsongs mit schönen, zweistimmigen Gitarrenläufen der birminghamer Schule und bärenstarkem Gesang.

2003.2 – Doomsword – Heathen Assault

Akustisches Intro, theatralischer, eigenwilliger Gesang, dann ein radikales Break, das in eine epische Doomwalze allererster Güte überleitet. Allein schon die ersten beiden Minuten ziehen in mich in den Bann, wie es nur ganz selten passiert. Dieses Album ist eines der besten epischen Metalalben aller Zeiten, hier wird sogar fast das Niveau der White Goddess erreicht. Ich liebe es, wenn Musik Bilder in meinem Kopf malt, und die nebeligen Schlachtengemälde, die Doomsword auf die Leinwand zaubern, sind atemberaubend.

2003.3 – Masterplan – Soulburn

Masterplan haben mit ihrem Debut gezeigt, dass melodischer Metal der europäischen Machart erwachsen sein kann. Die Gesangslinien, die Gitarrenharmonien, die Keyboarduntermalungen – all das, was viele Kompositionen dieses Genres oft kitschig oder klebrig werden lässt – klingt hier reifer und erdiger. Es war die richtige Entscheidung, die CD anstelle des erst angedachten Michael Kiske von Jorn Lande einsingen zu lassen. Dessen wesentlich rauere und kernigere Rockröhre trägt viel zu diesem Umstand bei.

2004.1 – 3 Inches Of Blood – Deadly Sinners

Vollgas geradeaus mit Anlauf direkt in die Fresse. Zweifellos der Hit des Albums. Uptempo, minimalistisches Riffing, kratziger Gesang in höchsten Tonlagen, starker Refrain, fertig. Das war damals unglaublich frisch und spielfreudig, der Song hat einfach nur in den Arsch getreten. Das ist Metal der alten Schule, mit einem Extrakännchen Härte uns Esprit.

2004.2 – Overlorde – Snow Giant

Ich weiß, dass der Song bereits Mitte der Achtziger entstand und auf einer selbstveröffentlichten Demo-EP lokal in Umlauf kam. Trotzdem hat es bis 2004 gedauert, bis die Band ihr erstes (und leider einziges) Album veröffentlicht hat. Neben großen Epen waren auch kurze, knackige Brecher vertreten – wie eben das herausragende „Snow Giant“. Der hervorragend singenden Bobby Lucas schafft es, aus einem ohnehin schon sehr guten Song einen noch besseren zu machen. Und dazu dieses Riff, das sich tief in den Schädel frisst und nicht mehr herauskommen will – ein Ohrwurm par excellence.

2004.3 – Sacred Steel – Open Wide The Gate

Offen gesagt finde ich die ersten drei Scheiben der Schwaben nur nett, aber nicht mehr. Interessant wurde die Band für mich erst, als sie auf dem vierten Album begann, Stilmittel des extremen Metal in ihren Sound mit einzubringen. Auf dem fünften Album, Iron Blessings, hat das in Perfektion funktioniert. Open Wide The Gate – gnadenloses, extremes Schlagzeug mit Blastbeateinschüben, Gitarren an der Grenze zum Death Metal, und Growls, die wunderbare Kontrastpunkte zum hellen, hohen Klargesang setzen. Dazu ein ausladender, eingängiger Refrain – und fertig ist der vielleicht beste Song, den diese Band je komponiert hat. Nach Abwanderung der Gitarrenfraktion, die wohl für die Genrefremden Einflüsse verantwortlich waren, konnte das Niveau der Iron Blessings leide nicht mehr erreicht werden.

2005.1 – Manilla Road – Riddle Of Steel

Ich liebe diese Band und dieses Album. Gates Of Fire war mein Erstkontakt. Der Opener, Riddle Of Steel, ist direkt ein Höhepunkt der gesamten CD. Flott, virtuos getrommelt, eine schroff gesungene Strophe und ein Refrain, wie ihn nur Manilla Road schreiben können. Diese Melodie und der nasale, mystische Gesang, das wirkt auf mich beinahe sakral. Manilla Road waren für mich nie sperrig, seltsamerweise. Die Songs haben sich mir immer erschlossen, ausufernde Solos (wie auch hier) oder vertrackte Rhythmen hin oder her. Der oft gescholtene Sound – von schlecht klingender Demo war die Rede – passt meiner Meinung nach wie Arsch auf Eimer. Roh, echt, schwitzig. Das Schlagzeug deutlich im Vordergrund, die Gitarren leicht schrammelig im Sound, dennoch verschwinden keine Details im Soundbrei, alles wirkt homogen. Ich will dieses Album mit keinem anderen Klang.

2005.2 – Sieges Even – Unbreakable

Ich kenne von Sieges Even nur die beiden Spätwerke mit Arno Menses. Die sind aber beide toll. Progressiver Metal mit Tiefgang und ständig präsenter Melancholie. Der filigrane, zerbrechliche Gesang von Menses und das sehr zarte Gitarrenspiel in der ersten Songhälfte machen Unbreakable zu einem Highlight. Selbst der technisch anspruchsvolle Mittelpart verkommt nicht zur instrumentalen Selbstdarstellung. Sieges Even erreichen auf dem gesamten Album ein Niveau, das sich meines Erachtens selbst mit den Glanzlichtern von Dream Theater messen lassen kann.

2005.3 – The Vision Bleak – The Curse Of Arabia

Eine Band, die stilistisch anders gelagert ist, als nahezu alles, was ich sonst an mich heran lasse. Die auf dem Debut noch stärker vorhandene Gothic-Schlagseite wurde auf dem zweiten Album weniger präsent, dafür wurde die Songs härter und die Gitarren in ihrem Sound fast schon Death-Metal-Kompatibel. Am Gesang werden sich die Geister scheiden, sehr theatralisch und leicht murmelnd arbeitet sich Allen B. Konstanz durch die Songs. Ich mag das zweite Album, Carpathia, sehr gerne. Die Story über den Erbfall in den Karpaten, die in einer Geschichte über Lovecrafts Kutulu-Kult aufgeht, ist liebevoll und packend inszeniert, und The Curse Of Arabia mit seinen – wer hätte es geahnt – orientalischen Einsprengseln, ist einer der Höhepunkte.

Tim Miller – Willkommen in Hell, Texas

Der neueste Ableger der „Extrem“-Reihe des Festa-Verlages – so viel gleich vorweg – ist ein gelungener und gehört eindeutig zu den besseren Bänden dieser FSK18-Reihe.

Die Rahmenhandlung füllt mit Müh‘ und Not einen Bierdeckel, aber das reicht. Vier junge Studenten befahren einen einsamen texanischen Highway, werden von einem vermeintlichen Polizistenduo aufgegriffen, der illegalen Einwanderung bezichtigt, und in eine verlassene Kleinststadt weitab jeder Zivilisation verschleppt. Dort werden die vier getrennt, und der „Spaß“ beginnt. Es folgen brutalste, knallharte Abartigkeiten, wie man sie auf dieser Reihe kennt und erwartet. Das Maß an Verstümmelungen, Vergewaltigungen und bizarren Phantasien ist hoch.

Jedem zartbesaiteten Leser muss man vom Lesen dieses recht kurzen Romans (knapp über 150 Buchseiten) klar abraten. Wer aber auf der Suche nach literarischen Ergüssen der geschmacklosen Art ist, der wird hier voll bedient. Tim Miller schafft es sogar, inmitten seiner Gewaltorgien stellenweise schwarzen Humor aufkommen zu lassen, der mich zum Schmunzeln brachte.

Ein Lob an den Verlag, mich freut es bereits auf den nächsten, für Ende April angekündigten „Extrem“-Band. Alle bisherigen Romane haben mich gut unterhalten, mit einigen Ausreißern nach oben.

Dienstag, 24. Februar 2015

Mission 200x - Pt. 1

Nachdem es mir letztens großen Spaß bereitet hat, in der Musik der 90er zu schwelgen, möchte ich mir jetzt die Jahre 2000 bis 2009 vornehmen. Retrospektiv stelle ich fest, dass sich gerade in den ersten Jahren nach der Jahrtausendwende mein persönlicher Geschmack stark erweitert hat. Mein Metal wurde ein Stück weit roher (ja, Undergroundfetischisten werden jetzt schmunzeln) und verlor einiges an Zucker. Der typisch europäische  Melodicmetal, der lange Jahre im Fokus meiner Aufmerksamkeit stand, fand immer weniger statt. Aber dazu im Folgenden mehr – erneut mit dem Hinweis, dass es natürlich eine absolute Unmöglichkeit ist, ein ganzes Jahr mit nur drei Songs zu fassen:

2000.1 – Halford – Resurrection

Ich lehne mich gerne aus dem Fenster und erzähle oft, ob es mein gegenüber hören will oder nicht, dass Judas Priest die größte, mächtigste und beste Band aller Zeiten sind. Diese Einsicht musste ich mir aber erarbeiten. Lustiger weise habe ich diese Gottband erst in der Owensphase kennengelernt, nach einem starken Konzert und der überragenden „98‘ Live Meltdown“-CD. Mit den Halfordalben habe ich mich offen gesagt erst beschäftigt, nachdem dieser mit seinem großartigen Comeback meine Welt erschüttert hat. Technisch fast so gut wie Owens, stimmliches Charisma, wie man es kein zweites Mal findet, dazu griffige, toll produziert Songs mit der nötigen Härte und ein Klangbild, das absolut zeitgemäß war. Der Opener und Titeltrack, dem Schwestersong „Painkiller“ mindestens ebenbürtig, packt mich auch 15 Jahre später noch wie beim ersten Hören. Dieses gnadenlose Falsett, die harschen Riffs, schierer Wahnsinn.

2000.2 – Jacob’s Dream – Kinescope

Sie kamen, siegten – und verschwanden. Jacob’s Dream haben mit ihrem Debut fraglos einen absoluten Klassiker abgeliefert. Eigenständiger, an einen jungen Tate erinnernder Gesang (mit dieser schönen, dezent weinerlichen Farbe), trifft auf anspruchsvolles Songwriting, wie es typischer für leicht progressiven US-Metal nicht sein könnte. Ich kann auf dem ersten Album der Musiker aus Ohio keinen einzigen Schwachpunkt ausmachen, diese Scheibe ist fraglos eines der besten Debuts aller Zeiten. Das Zweitwerk konnte das Niveau leider nicht mehr auf volle Distanz halten, und als dann David Taylor mit seiner überragenden Stimme ausgestiegen ist, habe ich das Interesse an der Band verloren.

2000.3 – Rob Rock – Streets Of Madness

Ich bin das erste Mal über Rob Rock gestolpert, als ich mich Ende der 90er mit dem Schaffen von Axel Rudi Pell beschäftigt habe. Das von Rock eingesungene „Nasty Reputation“ gehört zu den stärkeren pellschen Veröffentlichungen, trotzdem hatte ich erst wenig Erwartungen an das Solo-Debut, das 2000 anstand. Als ich hörte, dass Roy Z für den Sound und das Songwriting (mit)verantwortlich ist, musste ich aufhorchen. Dieser hat es schließlich geschafft, Dickinson und Halford zwei großartige Comebacks zu ermöglichen. Auf dem Album sticht neben dem genialen Cover von Abbas „Eagle“ im schweren Black Sabbath-Groove das von mir auserwählte „Streets Of Madness“ heraus. Dramatische Strophen, dezent an Jon Schaffer erinnerndes Riffing und ein bombenstarker Refrain, ich liebe diese Nummer, das ganze Album, Rocks Stimme – das ist wirklich groß!

2001.1 – Beyond Twilight – Shadowland

Ein perfekter Song auf einem perfekten Album. Diese fünfeinhalb Minuten sind zu tiefst progressiv, ohne technisch zu sein. Sie sind melodiös, ohne kitschig zu sein. Sie sind eingängig, ohne simpel zu sein. Das Album wurde damals als Hybrid von Stratovarius, Candlemass und Dream Theater angepriesen. Was wie ein absoluter Widerspruch in sich klingt, trifft doch zu. Loben muss ich auch noch Jorn Lande, der diese Scheibe eingesungen hat, noch bevor er in der Szene überpräsent wurde. Am Beispiel des Tracks Shadowland sieht man, wozu die Stimmbänder dieses Mannes fähig sind. Von tiefstem Bellen über crispe, raue Zeilen hin zu wunderschönen, warmen und absolut klaren Melodiebögen setzt er Maßstäbe, die nur ganz wenige erreichen können.

2001.2 – Rawhead Rexx – Town Of Skulls

Die vier Schwaben waren Anfang des Millenniums für mich ein Gegenentwurf zum typisch deutschen Metalstoff. Das hier war straight, schnörkellos, direkt, gitarrenlastig – und wurde zu Recht mit US-Acts wie Vicious Rumors verglichen. Es gab damals Stimmen, die in der Band einen Hype sehen wollten, war doch der damalige Manager Horst Odermatt gleichzeitig Chefredakteur des „Heavy, oder was!?“ und Veranstalter das „Bang Your Head Festival“. Es gab vielleicht größere Interviews, als sie andere Newcomer erhalten hätten, es gab vielleicht bessere Plätze im Billing – aber meines Erachtens nach nur aus dem Grund, weil Horst total auf die Musik steil gegangen ist. Und das absolut zu Recht. „Town Of Skulls“, das heißt hohes Tempo, schnelle Riffs der Thorpe-Schule und ein simpler, sehr effektiver Chorus. Eine tolle Einstimmung auf eine tolle Scheibe.

2001.3 – Tenacious D – Wonderboy

Eine Band, die es schafft, derben, platten Humor mit hochklassigem Songwriting zu verbinden wie keine zweite. Dank Jack Blacks Popularität hatte die Band natürlich erhebliche Vorteile auf dem Markt, trotzdem überzeugt die Band mit ihrer Musik, nicht mit Vertriebskampagnen. Dieser mystische, gefühlvolle Einstieg in den Song, die tolle Steigerung nach der ersten Strophe, einfach wundervoll. Was es mir einfach angetan hat, das ist die variable, tolle Stimme von Black, samt ihrem sicherlich durch die Schauspielerei geprägtem narrativem Einschlag – man sollte ihn per Gesetzesbeschluss dazu zwingen, mindestens alle zwei Jahre eine Platte einzusingen.

2002.1 – Blind Guardian – Precious Jerusalem

Ich gehöre zur absoluten Minderheit derer, die sowohl das Frühwerk als auch die Alben nach dem Nightfall-Incident wertschätzen. „A Night At The Opera“ ist ein Album, das ich mir erarbeiten musste. Ich habe beim schürfen viele Juwelen gefunden – um im guardianischen Jargon zu bleiben. Precious Jerusalem ist eines davon. Der großartige Beginn mit schroffen Tribaldrums und orientalischem Flair, ergänzt von Kürsch-Chören, die alle stimmlichen Facetten zeigen, zu denen Hansi fähig ist, der dann in diesen unwiderstehlichen, verschachtelten Groove führt. Toll. Der Vorzeigemittelteil ab Minute vier. Toll. Für mich ist nicht verständlich, weshalb gerade dieses Album schlecht sein soll.

2002.2 – Majesty – Sword & Sorcery

Zwischenzeitlich von vielen belächelt, waren Majesty damals für mich der Inbegriff des nationalen Undergroundmetal. Ich erinnere mich noch genau an mein erstes Mal – mit Majesty. Es war Ende Juni 2002, ich war auf dem „Bang Your Head Festival“ zu Gast. Es gab starke Auftritte von Jag Panzer, Titan Force, Saxon, Candlemass und vielen anderen. Dazu über die Zeltplätze ziehende Händler mit selbst kopierten Fanzines. Das eine, das ich als Morgenlektüre erworben habe (den Titel weiß ich leider beim besten Willen nicht mehr), bestand gefühlt zu einem Drittel aus Majesty-Worshipping. Eine Band, die mir bis dahin überhaupt nichts sagte. Am zweiten Festivaltag lag die CD (die an diesem Wochenende erstveröffentlicht wurde) in der Auslage eines Verkaufsstandes. Allein schon aufgrund des Ken Kelly-Covers (eines seiner stimmungsvollsten) musste ich das Album ungehört erwerben. Am Sonntag, auf der Heimfahrt, landete das Album erstmalig im Spieler. Und ich habe mich ernsthaft verliebt. Die Musik war weder zeitgemäß fett produziert, noch technisch stark dargeboten oder hervorragend gesungen – aber voll mit Herzblut. Ein für mich unvergessliches Album. Danke, Tarek!

2002.3 – Soilwork – As We Speak

Die Zweitausender markieren nicht nur den Beginn meines Interesses für erdigere, untergrundigere Themen, sondern sie sind auch der Zeitraum, in dem ich meine persönlichen Geschmacksgrenzen ausgelotet habe. Ich habe die Grenzen dessen gefunden, was ich toll finde – seitdem haben sich diese auch nur minimal verschoben. „As We Speak“ ist einer dieser Titel, der für mich eine Grenzerfahrung darstellte, dahingehend, dass es das Maximum an „modernem“ Sound ist, das ich abfeiern kann. Kaltes, stark getriggertes Schlagzeug, viel seichte Elektronik, gebrüllte Vocals – all das brauche ich nicht. Wenn aber der Klargesang in der Bridge die Führung übernimmt und in einem Weltklasserefrain mündet, dann muss ich den Song einfach mögen.

Fortsetzung folgt…

Freitag, 20. Februar 2015

Edward Lee - Der Höllenbote

Eine klischeetriefende Kleinstadt in Florida, viel Sonnenschein, braungebrannte Blondinen (selbstredend mit makelloser Figur) und ein Postamt, in dem ein satanisches Relikt versteckt ist, das es einem gefallenen Dämon erlaubt, die Postangestellten zu manipulieren und zu Massenmorden anzustiften. Dazu gibt man ein paar Priesen überforderte Kleinstadtpolizei, einen weiteren Löffel Pulp (natürlich muss es eine Szene im unschuldigen, katholischen Mädcheninternat geben…), überzogene, blutrünstige Metzeleien und eine Portion Sex. Wir lernen, dass die Dämonen, die es auf die Vernichtung unserer Welt abgesehen haben, grundsätzlich immer und überall über eine sehr starke Libido verfügen. Gut, dass es in dem Kaff Danelleton keine unansehnlichen Frauen gibt und der Autor auch nie müde wird, zu erzählen, wie oft die wohlgeformten Hintern der Austrägerinnen in ihrern engen Dienstunformen spazieren getragen werden. Als sich dann die Leiterin des Postamtes in den Leiter der örtlichen Polizei verliebt, anschließend auch noch ein dubioser Hellseher mit osteuropäischem Akzent auftaucht, kann ich nicht anders, als zu Schmunzeln.

Hört sich alles an wie Schund, ist auch so.

Edward Lees Höllenbote hat mich größtenteils aufgrund des skurrilen Settings unterhalten können, das ein wenig über die farblosen Charaktere hinweghilft. Dennoch war mein siebter Lee (darunter drei Volltreffer) mein bislang Schlechtester.

Bei einem Kurs von knapp 14 Euro für die Taschenbuchversion kann ich trotz aller Sympathie für den Festa-Verlag keine Empfehlung aussprechen. Vielleser können aber gerne auf die eBook-Version für 4,99 Euro ausweichen, wenn sie Lust auf wenig gruseligen B-Film-Horror haben.

Sonntag, 8. Februar 2015

Mission 199x


Eine Dekade in 30 Songs zu fassen, das ist ein Ding der Unmöglichkeit. 30 Alben wären bereits deutlich zu wenig, um der Aufgabe auch nur ansatzweise gerecht zu werden. Da wir aber an unseren Aufgaben wachsen, hier im Folgenden nun 30 Songs, 3 pro Jahr, die mir seit Langem sehr wichtig sind – innerhalb des Jahrgangs alphabetisch sortiert, ich will diese 30 Titel nicht auch noch in ein Ranking bringen. In den Neunzigern fing ich an, Musik für mich zu entdecken, habe mich in den Klang von elektrischen Gitarren verliebt, habe angefangen, diverse Stilrichtungen zu entdecken, habe angefangen, meinen ganz persönlichen Geschmack zu entwickeln.

1990.1 – Böhse Onkelz – Nekrophil

Dass meine Liste ausgerechnet mit dieser Band beginnt, liegt schlicht und einfach daran, dass für mich die Neunziger ohne diese Band nicht denkbar gewesen wären. Von allen Alben der Band ist die „Es ist soweit...“ wohl diejenige, die dem Heavy Metal am nächsten kommt. Zum Song: das gelungene Introriff, der unendliche fiese, dreckige Gesang, dazu die morbide Thematik, all das hat auf mich in den Neunzigern äußerst faszinierend und fesselnd gewirkt. Ohne die Frankfurter wäre ich nie beim Heavy Metal gelandet.

1990.2 – Gamma Ray – Heading For Tomorrow

Egal, wie sehr sie sich auf den letzten Alben bei sich selbst bedienen, egal, dass seit Langem kreative Stagnation angesagt ist: in den vermeintlich metalschwachen 90ern (was für ein Blödsinn!) waren die Jungs eine der führenden deutschen Formationen – zu Recht. Hansen hat mit seinem ersten Album nach dem Helloween-Ausstieg an das Niveau der beiden Keeper-Scheiben mindestens anknüpfen können, und mit dem damaligen Sänger Ralf Scheepers zum zweiten mal nach Kiske einen gnadenlosen Volltreffer gelandet. Der Titelsong des ersten Albums ist nicht weniger als der perfekteste Melodic-Metal-Longtrack aller Zeiten, zu jeder Minute spannend und nie langweilig werdend. Besser kann man diese Art Musik nicht spielen.

1990.3 – Judas Priest – Painkiller

Keine Liste von mir ohne einen Titel der größten und mächtigsten Band aller Zeiten. Über den Song und das Album muss man – denke ich – keine Worte mehr verlieren. Painkiller war stilprägend, ein unerwartet harter Befreiungsschlag, und Halford liefert eine unmenschliche Gesangsleistung ab. Nebenbei natürlich das geilste Drumintro aller Zeiten.

1991.1 – Cirith Ungol – Fallen Idols

Vier perfekte Alben in 10 Jahren, dann Schluss, aus und vorbei. Eine der eigenständigsten Bands aller Zeiten, gesegnet mit einem Frontmann, der direkt aus der Hölle kommen musste. Ich verstehe bis heute nicht, weshalb das letzte Album aus dem Jahr 1991 häufig als den Vorgängern nicht ebenbürtig empfunden wird. Die Band hat es geschafft, in ihren ureigenen Sound noch eine ungeheuerliche Eingängigkeit mit einzubringen, und hat schlichtweg ein paar verdammt starke Hits geschrieben – wie das getragene Fallen Idols mit seinem großartigen Hauptriff und dem Megarefrain – grandioser Schwanengesang.

1991.2 – Iced Earth – Pure Evil

Jon Schaffer hat es auf den ersten drei Studoalben geschafft, gnadenloses Riffgeschiebe und extrem variables Songwriting zu verzahnen, wie es höchstens noch Metallica auf ihren ersten drei Scheiben konnten – wobei Iced Earth ein Quäntchen düsterer, böser und härter waren. Dass Schaffer anschließend immer mehr zu simplen, kommerzielleren Songs überging, störte mich nicht, ich mag ausnahmslos alle Bandphasen. Dennoch ist das Stormrider-Album ein Meilenstein der frühen Neunziger. Pure Evil ist mein persönlicher Höhepunkt auf dem Album, variables Drumming, die wohl besten Rhythmusgitarren, die Schaffer jemals aufgenommen hat und tolle Screams im Refrain.

1991.3 – Savatage – Tonight He Grins Again

Bei allem Respekt für die starken 80er-Alben der Band, aber im hier besprochenen Jahrzehnt hat die Band meine beiden liebsten Alben ihrer Laufbahn veröffentlicht. Streets von 1991 ist eines der absolut besten Konzeptalben, die ich kenne. Kernige Riffs, tolle Soloarbeit, und über allem die einzigartige Stimme von Jon Oliva. Welchen Song man sich auch aussucht, das Album besteht nur aus Höhepunkten. Tonight He Grins Again ist die perfekte Kombination aus Bombastrock und irrsinnigem Gesang, großartig. Das andere Lieblingsalbum ist übrigens The Wake Of Magellan, aber davon hat es nichts auf die Liste geschafft.

1992.1 – Killers – The Beast Arises

Paul Di'Anno war mir von den drei Maidensängern immer am liebsten. Sein 92er Soloalbum liegt mir besonders am Herz. The Beast Arises - ich liebe diesen druckvollen, schmutzigen Gesang (ja, ich bin sehr Sängerfixiert), musikalisch schnörkellos und – erstaunlicherweise – priestlastig.

1992.2 – Manowar - Burning

Zu Hälfte neu besetzt und am stilistischen Scheideweg, trotzdem liefern Manowar einen der größten Songs des Jahres ab. Wenn nach der doomig daher galoppierenden ersten Strophe der mächtige Refrain einsetzt, und wenn Adams diesen noch mit seinen unglaublichen Schreien krönt, kann ich nicht anders, als mitzugehen.

1992.3 – W.A.S.P. - Chainsaw Charly (Murders In The Rue Morgue)

Akustisches Intro, dann flott die Kettensäge angeworfen, und los geht’s. Es ist klasse, wie wenig kopflastig dieses Konzeptalbum an sich und dieser Longtrack im speziellen ist. Blacky schafft es immer wieder, schmissige, glamrockige Melodien in den Raum zu werfen, für die andere Songwriter töten würden. Andere Bands basteln drei oder vier Refrains aus dem, was hier abgeliefert wird.

1993.1 – Meat Loaf – Everything Louder Than Everything Else

Überfrachtet mit Bombast, mehr Musical als Rocksong, kitschig theatralischer Gesang, glatter Sound. Ich weiß selbst, dass das weder Metal noch kerniger Rock ist. Es kommt auch nicht jeden Tag vor, dass ich Meat Loaf auflege, aber hey, wir reden von den Neunzigern, man erlaube mir eine kitschige Stelle :-). Positive Rock'nRoll-Vibes, instrumental toll inszeniert, ich mag das wirklich.

1993.2 – Rage – Firestorm

Zurück nach Deutschland, zurück zum schnörkellosen Metal. Vollgas, mit geilem Riff direkt in die Fresse, eingängiger Refrain, gesanglich charmant, aber nicht überragend. Firestorm ist für mich exemplarisch für das, was Rage in den frühen Neunzigern ausgemacht hat. Manni Schmidt kann man nicht genug loben, es gibt wenige Gitarristen, die dermaßen fit sind, aber immer dem Song dienlich bleiben. Riffen und Solieren kann der wie kaum ein zweiter in Deutschland.

1993.3 – Rush – Stick It Out

Kein Jahrzehnt ohne Rush. Der Weg zurück zu dominanteren Gitarren gefiel mir sehr. Man höre sich nur das Riff von Stick It Out an. Knackig, nicht im Geringsten angestaubt. Das Drumming sehr akzentuiert, der Refrain sehr eigenwillig. Rush schaffen es wie kaum jemand sonst, technisch brillant (was für eine Bassarbeit!) und komplex zu sein, ohne den Hörer auch nur eine Sekunde zu überfordern oder mit Fragezeichen vor den Augen zurückzulassen.

1994.1 – Dr. Butcher – The Altar

Schon wieder Jon Oliva? Mir doch egal! So hart wie Dr. Butcher waren Savatage nie, allein der völlige kranke Schrei ab Sekunde 50 stellt mir alle Haare auf. Kein Gedöns, kein Bombast, keine Orchestrierungen, nur mächtige Gitarren, eine pumpende Rhythmusgruppe, ganz dezente Keyboardflächen im Hintergrund, und die beste Performance von Oliva aller Zeiten.

1994.2 – Running Wild – The Privateer

Running Wild haben bei mir nicht den Stellenwerk inne, den beispielsweise Rage oder Grave Digger inne haben. Vielleicht, weil ich zu spät auf die Band aufmerksam wurde, und die Formkurve da bereits merklich nach unten zeigte. Aber ein Album – Black Hand Inn von 1994 – kommt immer wieder in den Player. Die Single Privateer vereint wirklich alles, was das Album so groß macht. Dauersperrfeuer des getriggerten Schlagzeugs, die schnellen Gitarrenläufe von Rolf, dezent folkloristisch klingende Gitarrenmelodien, ein großer Refrain. Toll.

1994.3 – Tiamat – A Pocket Sized Sun

Ex-Death-Metaller wirft alle harschen Töne über Bord und nimmt mit A Pocket Sized Sun einen der schönsten und berührendsten Song aller Zeiten auf. Klar inspiriert von Pink Floyd und den getragenen Momenten von King Crimson, aber weit weg davon, ein Rip-Off zu sein. Das ist eine Komposition für eine laue Sommernacht, wenn man Nachts um zwei nicht schlafen kann und alleine spazieren geht.

1995.1 – Blind Guardian – Imaginations From The Other Side

Der Song, der in knapp über sieben Minuten all das vereint, das die Band so groß gemacht hat: harte, gerne mal speedige Rhythmusgitarren, sehr variable Schlagzeugarbeit, sehr eigenständige Melodieführung, und natürlich Orchestrierungen und große, opulente Chöre. Damals noch sehr ausgewogen eingesetzt, ohne die Metalbasis der Songs zu verdrängen. Das war später bekanntlich anders (ich steh' auch auf die neueren Alben). Für mich ist IFTOS fast so etwas wie eine letzte Zusammenfassung der eigenen Trademarks, bevor sich die Band auf zu neuen Ufern machte.

1995.2 – Dream Theater – A Change Of Seasons

Befreit von dem Zwang, in den Kontext eines Albums passen zu müssen, ist A Change Of Seasons für mich nicht weniger, als der beste Longtrack dieser begnadeten Band. Irrsinnige Instrumentalabfahrten, enorm anspruchsvolle Rhythmusarbeit, gnadenlos komplexe Gitarrenparts, und trotzdem tauchen in den 23 Minuten immer wieder warme Gitarrensolos, Gesangslinien oder akustische Parts auf. Mir ist bewusst, dass man den Song – um ihn auch nur ansatzweise zu erfassen – 10, 15 oder 20 mal hören muss. Aber selten hat sich das so gelohnt wie hier.

1995.3 – Rammstein – Wollt Ihr Das Bett In Flammen Sehen

Weg von der Musikkunst, hin zu steriler, martialischer Konstruktion. Wir waren halbstarke Vierzehnjährige, als dieser Sound aufgeschlagen hat. Und was war hart, unglaublich hart. Man muss die Band nicht mögen, niemand kann aber abstreiten, dass dieser Sound im Mainstream Mitte der Neunziger etwas ganz neues war und die Band unzählige Massen an Nachahmern inspiriert hat. Auch heute, wenn ich diesen ganz eigenen, klinischen Gitarrensound höre, nimmt es mich noch mit.

1996.1 – Böhse Onkelz – Auf Gute Freunde

Ja, wer mir bis hierher gefolgt ist, wird womöglich die Augen verdrehen. Aber keine Sorge, die beiden anderen Songs des Jahres 1996 sind mindestens genau so plakativ ;-). Aber zurück zu „Auf Gute Freunde“. Ein schmeichelnder Rocker, Straßenkötergesang, gute Gitarren, reflektierender Text ohne Pathoskeule, besser kann man – Achtung, ducken – Deutschrock nicht machen.

1996.2 – Grave Digger – In The Dark Of The Sun

Keine Ahnung, warum diese Band so oft belächelt wird. Weil die Jungs einfach strukturierte Songs komplexen Kompositionen vorziehen? Weil Boltendahl alles andere als ein stimmlicher Schöngeist ist? Aber auf Accept steil gehen, hm? Grave Digger haben dermaßen viele Metalhymnen geschrieben, wie kaum eine andere Band. In The Dark Of The Sun lebt von einem einfachen Riff und einem großen Refrain. Manchmal reicht genau das aus.

1996.3 – Manowar – The Power

Das war nicht mehr die selbe Band, musikalisch hatte man sich von der ausladenden Epik der Ross-The-Boss-Phase verabschiedet, Logan spielte wesentlich reduzierter, ein Schlagzeuger durfte das Studio auch nicht betreten. Trotzdem liefert der Song das, was er verspricht – Kraft vom Fass. Faust hoch, Anlage laut, und dem überragenden Gesang von Eric Adams lauschen.

1997.1 – Jag Panzer – Black

Dunkler Beginn, dramatische Steigerung, grandioses Mainriff, voluminöser Weltklassegesang, garniert von wirklichen tollen Gitarrensoli. Was soll man mehr über einen der besten Jag Panzer-Songs aller Zeiten sagen?

1997.2 – Judas Priest – Cathedral Spires

Auch Judas Priest müssen eine zweite Nennung bekommen. Schließlich hatten bei den Birminghamern in diesem Jahrzeht die beiden besten Metalsänger aller Zeiten das Mikro in der Hand. Und die neue Härte im Gitarrenbereich tat der Band gut. Wenn nach zwei klaren, melodischen Minuten die Stimme erhoben wird und sich die Nummer mit einem Monsterriff hin zu einem der besten und epischsten Refrains der gesamten Bandgeschichte steigert, dann geht mir das Herz auf. Gnadenlos gut.

1997.3 – Stratovarius – Visions (Southern Cross)

Keine 90er-Show ohne Stratovarius. In meiner kleinen Welt war das damals die absolute Speerspitze des europäischen Metal. Instrumental wesentlich versierter als ähnlich gelagerte Bands wie Helloween oder Gamma Ray – alleine schon die Keys von Jens Johansson waren der Konkurrenz weit voraus. In dieser ausladenden 10 Minuten Nummer geht die Band keineswegs zu gemächlich oder übertrieben orchestral zu Werke (wie sie es beispielsweise auf den zu süßlichen Elements-Alben getan hat). Die ersten vier Minuten regiert die Doublebass, bevor ein akustisches Intermezzo Ruhe bringt, in ein tolles Solo überleitet, das wiederum den Weg für das von dezenten Chören unterstütze Finale ebnet.

1998.1 – Arena – The Hanging Tree

Düster und zu tiefst melancholisch, dabei äußerst zart. So beginnt der unstrittig beste Titel des gesamten Arena-Schaffens. Bereits die zerbrechliche Gesangszeile „Moving deeper into the land“ wird man seines Zeit seines Lebens nie mehr aus dem Gehirn bekommen. Als dann die Fragilität harscheren Tönen weicht – ohne das dunkle Element zu verlieren – zeigen Gesang und Sologitarre, wie emotional Musik sein kann. Wundervoll.

1998.2 – Ayreon – The Two Gates

Schon wieder ein Auszug aus einem Konzeptalbum. Warme, analoge Synthesizer zu Beginn, eine fette, groovende Hammondorgel mit einem rockigen, stampfigen Riff, gnadenlos gute Sänger mit genug Spielraum in der Komposition, um die jeweiligen Stärken zu zeigen. Gekrönt wird diese Nummer von einem richtig großen Refrain. Nichts wirkt hier kopflastig oder konstruiert, alles organisch.

1998.3 – Threshold - Angel

Threshold, das heißt bislang 10 Studioalben ohne Ausfall, das kann kaum jemand sonst vorweisen. Das Album „Clone“ aus dem Jahr 1998 war das erste mit dem leider viel zu früh verstorbenen Andrew McDermott. Meiner Meinung nach der Sänger, der mit seiner vollen, rauen Stimme am besten zur Band passte. „Angel“ hat alles, vom tollen Orgelintro über harte Riffs, beeindruckende Schlagzeugarbeit, einen harten Mittelpart und einen einfach nur schönen Refrain.

1999.1 – Dark At Dawn – Within The Light

In einer gerechten Welt wären Dark At Dawn groß geworden. Schnelle, leicht an Maiden erinnernde Gitarrenläufe, einzigartiger Reibeisengesang und ein Gespür für tolle Vocallines. „Within The Light“ ist ein knackiger, authentischer Underground-Metal-Song. Ohne jeden Schnörkel. Wer sowas nicht mag, muss ein böser Mensch sein :-).

1999.2 – Mercyful Fate – Church Of Saint Anne

Einer meiner liebsten M.F.-Songs. Über ein schleppendes Riff packt der Diamantenkönig seine eigenwilligen Gesangslinien und Harmoniegesänge. Der Song ist verschachtelt, ohne sperrig zu sein (ja, zugegebenermaßen immer noch easy listening im Vergleich zum Frühwerk), und der Refrain ist toll.

1999.3 – Misfits – The Forbidden Zone

Vom einen Extrem (Dream Theater mit 23 Minuten) zum Anderen. Die Misfits brauchen nur zwei Minuten und vierundzwanzig Sekunden, um mich zum rasen zu bringen. Punkige Gitarren, flottes Tempo, starke Vocals mit leichtem Rock'a'Billy-Touch, und Melodien, die sofort ins Ohre gehen. Ich habe das Album damals, 1999, rauf- und runtergehört, und stehe heute noch voll drauf.


Soviel zur unlösbaren Aufgabe, eine Dekade in 30 Songs zu fassen. So unlösbar die Aufgabe auch ist, mein Sonntag war ein sehr Gelungener.

Donnerstag, 5. Februar 2015

Overlorde - Snow Giant

Über zehn Jahre ist es her, dass das erste und einzige Album der US-Metaller „Overlorde“ erschienen ist. Meines Erachtens ist die „Return Of The Snow Giant“ zu Unrecht in der Versenkung verschwunden. Hier wird nichts anderes geboten, als reinster Heavy Metal der amerikanischen Ausprägung mit schlichtweg perfektem Gesang.

Bobby „Leather Lungs“ Lucas liefert von mittleren Tonlagen bis zu hohen Schreien dermaßen Punktgenau ab, dass es mir eine reine Freunde ist, jeder einzelnen Zeile zu lauschen. Er gehört zu den Großen seiner Riege, die es schaffen, aus einem sehr guten Song etwas noch besseres zu machen.

Man führe sich nur den eröffnenden Titeltrack zur Gemüte, wo er – flankiert von einem extrem eingängigen Riff – zeigt, welche Kraft er in seinen Lederlungen versteckt. Oder aber „When He Comes“, wo Lucas nach getragenem Beginn in tiefen Tonlagen seine ganze Bandbreite auspackt, als wäre es das einfachste der Welt – ohne dabei zu technisch oder steril zu klingen. Es bleibt immer genug Dreck in der Stimme, um eben nicht zum Kiskeklon zu werden (der trotz einer brillanten Stimme aufgrund des mangelnden Rotzes niemals in der Lage wäre, ungeschliffenen US-Metal zu veredeln).

Kurz gesagt: Bobby könnte mir das Telefonbuch vorsingen, ich wäre begeistert.

Reicht das allein zum – wenn auch fast vergessenen – Klassiker? Natürlich nicht. Und hier kommt die Band ins Spiel, die ein Dutzend formidabler Songs eingespielt hat. Überwiegend im klassischen Midtempo gehalten, mit gelegentlichen flotten Einsprengseln (freilich ohne dem Speed Metal auch nur nahe zu kommen) und zwei ausladenden, epischen Songperlen namens „Mark Of The Wolf“ und „Colossus – Island Of The Cyclops“.

Auch bezüglich des Klangbildes gibt sich die Band keine Blöße. Gitarren und Schlagzeug haben genug Druck, der Bass ist schön präsent (ein weiterer Pluspunkt, leider ist das oft nicht der Fall), der Sound ist differenziert, aber keineswegs kühl oder steril. Das Artwork ist ebenfalls herausragend gut, das Booklet toll gestaltet.

Ich kann es drehen und wenden wie ich will – das Album ist ein kleines US-Metal-Juwel, das mehr Aufmerksamkeit verdient hätte.

Ebenfalls großartig ist übrigens das 2013 erschienene und ebenfalls von Lucas eingesungenen Album "Giants Of Canaan" der Band "Attacker". Hier wird fast das selbe Niveau erreicht, wenn auch stilistisch ein klein wenig anders gelagert.